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Channel: Stefan Macke, Autor bei IT-Berufe-Podcast
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Was ist eine ausreichende fachliche Tiefe des Abschlussprojekts?

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Viele Projektanträge zum Abschlussprojekt werden abgelehnt, weil das umzusetzende Projekt nicht die nötige fachliche Tiefe aufweist. In unserem Prüfungssystem gibt es dafür sogar einen expliziten Ablehnungsgrund. Doch was heißt es genau, dass die fachliche Tiefe nicht erreicht wurde? Welche fachliche Tiefe ist überhaupt angemessen und wie erkenne ich als Prüfling, ob ich sie erreiche?

Mein Standardbeispiel: Projektverwaltung

Ich führe als Beispiel für eine übliche Projektarbeit für Anwendungsentwickler immer eine klassische Web-Anwendung an. Nehmen wir das oft strapazierte Beispiel einer Zeiterfassungssoftware oder einer Projektverwaltung. Dabei handelt es sich um eine kleine Web-Anwendung mit ein paar Datenbanktabellen, etwas fachlicher Logik und ein paar netten Oberflächen.

In solch einer Anwendung kann ich als Anwendungsentwickler alles zeigen, was ich in meiner dreijährigen Ausbildung gelernt haben sollte. Soll ich ein Projekt enpfehlen, führe ich deswegen gerne dieses Beispiel für ein fachlich ausreichendes Projekt für die Abschlussprüfung an.

  • Ich kann eine Datenbank modellieren, z.B. mit einem ERM oder Tabellenmodell.
  • Ich kann ein Klassendesign entwerfen, z.B. mit einem Klassendiagramm oder gar mit Test Driven Development.
  • Ich kann die Oberflächen gestalten, natürlich nach ergonomischen Gesichtspunkten und mit Mockups für den ersten Entwurf.
  • Außerdem muss ich mich um das Zusammenspiel der Komponenten kümmern und brauche dafür eine tragfähige Architektur, z.B. MVC.

Kurz gesagt ist in solch einem Projekt alles Technische enthalten, was man heutzutage in der Programmierung können muss. Und ich kann mich vieler Methoden der Softwareentwicklung bedienen, die mein planvolles Vorgehen dokumentieren.

Hast du auch ein paar konkrete Zahlen?

Als ganz grobe Daumenregel für Anwendungsentwickler führe ich immer ein „klassisches“ Webprojekt an: kleine Datenbank, ein bisschen Logik, Frontend drüber. Da kann man das volle Spektrum der Entwicklungstätigkeiten zeigen.

  • ca. fünf Datenbanktabellen
  • ca. fünf Oberflächen dazu.
  • ca. zehn Klassen (tendentiell eher mehr)

Sollte die Anwendung eine komplizierte Logik umsetzen, kann natürlich bei den anderen Komponenten entsprechend gekürzt werden. Diese grobe Richtlinie ist sicherlich nicht allgemeinverbindlich. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Ich möchte nur deutlich machen, dass eine triviale Konsolenapplikation, die eine Textdatei einliest und wieder speichert, nicht ausreicht. Es sei denn, die Applikation verwendet dafür einen selbst programmierten Verschlüsselungsalgorithmus. 😉

Brauche ich alle Komponenten?

Das heißt nicht, dass jedes Abschlussprojekt alle genannten Komponenten umfassen muss. Nicht alle Unternehmen haben die Anforderung, Weboberflächen über Datenbanken zu gestalten. In vielen Betrieben wird eine bestehende Software erweitert, eine Oberfläche angepasst, oder eine Datenbank um zusätzliche Tabellen erweitert. Oft werden auch Programme benötigt, die keine grafische Oberfläche haben. Wenn es z.B. um den Datenabgleich zwischen ERP-System und Webshop geht, der nachts als Batchjob laufen soll, ist es völlig unnötig, eine schön gestaltete grafische Oberfläche dazu zu entwickeln. Daher ist es völlig legitim, auf die ein oder andere Komponente im Abschlussprojekt zu verzichten.

Auch heißt es umgekehrt nicht automatisch, dass man ein fachlich ausreichendes Projekt hat, nur weil alle Schichten Berücksichtigung finden. Eine Weboberfläche mit einem Formular, die simple CRUD-Operationen gegen eine Datenbanktabelle durchführt, ist selbstverständlich nicht umfangreich genug.

Mein Anti-Beispiel: SAP-Projekte

Dieses Problem haben meiner Erfahrung nach oftmals die Anwendungsentwickler im SAP-Umfeld. Hier wird häufig nur sehr wenig tatsächlicher Code produziert, sondern viel mehr Zeit für die hochkomplexe Infrastruktur verbraten. Da gehen allein schon 7 Stunden drauf, bis man den richtigen Einstiegspunkt in die „Transaktion“ (oder wie auch immer das dort heißt) gefunden hat. 😉 Und die meisten Inhalte lassen sich dann mit SAP-Mitteln generieren, sodass der Entwickler eigentlich fast gar nichts mehr tun muss.

Aber es gibt auch Negativbeispiele aus anderen Bereichen. Mein persönliches Highlight aus einer Abschlussprüfung war eine einzelne HTML-Seite, die mit 5 Zeilen JavaScript angereichert wurde. Das Problem war, dass der Prüfling selbst überhaupt nicht verstand, warum dieses Projekt nicht ausreichend war. Seine Ausbilder hatten ihn offensichtlich überhaupt nicht darauf vorbereitet. Und er war sehr enthusiastisch und freute sich richtig über sein Projekt. Das tat mir dann wirklich leid, da die Schuld für dieses unzureichende Projekt sicherlich nicht beim sehr motivierten Prüfling zu suchen war.

Methodik ist das A und O

Kurz gesagt sollte ein Abschlussprojekt zeigen, dass du methodisch Software entwickeln kannst, die eine gewisse Komplexität aufweist.

Es geht darum, dass du deine Fähigkeiten angemessen unter Beweis stellst. Du sollst methodisch Software entwickeln und die Projektarbeit wirtschaftlich umsetzen. Dazu gehört u.a. eine Betrachtung der Kosten und der Amortisation, der Einsatz von Modellierungs- oder Dokumentationsmethoden (z.B. ERM, UML, EPK, Mockups), das Erstellen sinnvoller Dokumentationen (z.B. für Kunden, Betrieb, Entwickler), das planvolle Vorgehen bei der Projektumsetzung (z.B. Projektplan, Iterationsplanung, Gantt-Chart), eine gute Qualitätssicherung (z.B. Unit-Tests, Abnahmeprotokoll) usw.

Fazit

Wenn du dir nicht sicher bist, ob dein geplantes Programm als Abschlussprojekt ausreicht, dann frag deinen Ausbilder oder deine Berufsschullehrer. Die sollten die nötige Erfahrung mitbringen und die Anforderungen der IHKen einschätzen können. Alternativ stell dein Projekt doch im Forum vor oder schreib mir eine Mail. Ich helfe dir gerne mit einer kurzen Einschätzung weiter.


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